Charlie: Sein oder nicht sein

Charlie: Sein oder nicht sein

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Alle waren die letzten Wochen Charlie. Und die Welt sah einfach aus: Charlie war Symbol der Pressefreiheit. Der Tenor war: Sei Charlie oder du bist Terror­sympathisant. Dann wurde es komplizierter. Die Pegida-Bewegung, die über die „Lügenpresse“ schimpft, war plötzlich Charlie. Alle Politiker waren plötzlich Charlie. Viktor Orbán war Charlie – der ungarische Premier, der in seinem Land die Pressefreiheit nahezu abgeschafft hat. Er war Charlie. Und auch unsere deutschen Politiker waren Charlie und trugen öffentlich Solidaritätsstifte. Noch während sie sich solidari­sierten, forderten sie (natürlich zum Schutz der Presse­freiheit) die Einführung der Vorratsdatenspeicherung – einen erheblichen Eingriff in die Pressefreiheit.

Wir Medienschaffende waren sowieso Charlie. Es waren ja Kollegen, die ermordet wurden. An der Hochschule der Medien in Stuttgart wurde ein großes „Wir sind alle Charlie“ ausgerollt. Im Affekt waren wir natürlich alle erst einmal Charlie.

Dann be­gann die Nach­lese: Viele durf­ten laut Dis­kus­sions­run­den nicht mehr Char­lie sein, weil sie ja auch keine Char­lie Heb­dot-Le­ser waren und sich ein Stamm­leser­zirkel das Recht her­aus­nahm, ex­klusiv Char­lie sein zu dü­rfen.
Char­lie, der die Presse­frei­heit ver­tei­digt und sich nicht ein­schüch­tern lässt. Wie sich Me­dien zu ver­halten haben, die Char­lie sind, stand auch schnell fest: Ne­ben dem ob­li­ga­torischen „Je suis Char­lie“ mussten auch Mo­ham­med­kar­ika­turen ab­ge­druckt werden – min­des­tens das neue Ti­tel­blatt.

Vie­le haben sich ver­halten, wie es von ihnen er­war­tet wurde. Sie dru­ckten die Ka­ri­ka­tu­ren, klo­pften sich auf die Schul­tern und fühl­ten sich mutig. Die Ham­burg­er Mo­rgen­post hat­te die näch­ste Nacht auch einen Brand­an­schlag zu beklagen. Die Be­dro­hung fühl­te sich re­al an. Wer nicht mit­druck­te, dem wurde nach­ge­sagt, dass er vor den Te­rro­ris­ten kuscht, nicht für die Frei­heit der Presse eintritt. Mein Em­pfin­den war ein ent­gegen­gesetztes. Nach den An­schlä­gen war mehr Mut not­wen­dig, die Ka­ri­ka­tu­ren nicht zu ver­öf­fent­lich­en. Dem Druck und der Brand­markung durch die anderen Medien zu wider­stehen. Und zu akzeptieren, dass man noch mehr als die „Lügen­presse“ gilt, die das Abendland in den Abgrund stürzt.

Meiner Meinung nach gibt es gute Gründe die Karikaturen nicht zu veröffentlichen, schon gar nicht im Namen der Pressefreiheit. Das liegt vor allem an einer Eigenart der Satire: Satire, insbesondere die Karikatur, ist kein gewöhnlicher Journalismus. Sie ist eine Gradwanderung zwischen journalistischem Handwerk und Kunst. Was für mich die Frage aufwirft, ob wir tatsächlich einen Angriff auf die Freiheit der Presse oder betrachten oder einen auf die Freiheit der Kunst. Satire tut weh. Satire, die niemand verletzt ist nutzlos. Wenn die Kunst gehört das zu ihrem Wesen. Für den Journalismus sollte das allerdings nicht das oberste Ziel sein. Wir wollen in erster Linie informieren. Auch hierbei werden öfters Gefühle verletzt, aber es ist nicht das Ziel.

Vor acht Jahren führte ich eine Diskussion über das Thema: „Nehmen wir zu viel Rücksicht auf religöse Gefühle?“ Für mich ist das eigentlich nicht die richtige Frage. Für mich ist die Frage wie viel Rücksicht wir auf Gefühle überhaupt nehmen. Religion sollte dafür keine Rolle spielen, sondern die Menschen selbst. Dass die Mohammedkarikaturen Gefühle bei den Anhängern einer Weltreligion verletzten, in der derartige Abbildungen verboten, sind liegt auf der Hand. Aber es wurde ein wunderbarer Weg gefunden dies zu ignorieren. Nach den Anschlägen zählte: Wer hat es in den mehrheitlich von Moslems bevölkerten Ländern abgedruckt? Wer es getan hat ist ein Held, wer nicht ist ein Terrorsympathisant. Die gleiche Frage wurde hier vor laufenden Kameras an viele Moslems gestellt. Diese konnten entweder einen Teil ihres Glaubens verleugnen oder im medialen Tenor öffentlich als Extremisten gelten.

Muss ich das gut finden und dabei auch noch mitmachen? Ich glaube nicht. Ich sehe auch keinen Grund die Karikaturen als satirisches Mittel zur Provokation verwenden, wohl aber als Zitat für die Berichterstattung. Dass ich persönlich kein Freund der Karikaturen bin hat nichts mit einer Anschlag­sgefahr zu tun. Mehr damit, ob ich Satire hier einsetzen möchte. Ich will es nicht. Aber wir müssen das Recht haben sie zu veröffentlichen. Das ist Pressefreiheit. Aber wenn der Druck entsteht sie zu veröffentlichen, dürfen wir auch nein sagen. Auch das ist Pressefreiheit.

Bin ich jetzt Charlie? Ich bin überzeugter Charlie wenn es es um das Recht geht, frei seine Meinung zu artikulieren. Wie diese Freiheit genutzt wird – an der Stelle bin ich kein Charlie. So verbleibe ich als getroffener und trauernder Solidaritätscharlie. Einer, der sich weigert alles toll zu finden was Charlie macht, nur weil es zur Zeit erwünscht ist, aber toll findet und dafür eintritt, dass er es darf.

Erstmals veröffentlicht als Kommentar auf heidelred.de am 26.01.2015

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